10 Februar 2019

Orgosolo - Das kunterbunte Banditendorf

Atemberaubende Landschaft und bunt bemalte Häuser, wohin das Auge reicht: Gerade wegen der sogenannten Murales ist Orgosolo längst zu einer Berühmtheit, und damit zu einem beliebten Touristenziel geworden.

Was es mit den Wandmalereien auf sich hat und wieso das sardische Städtchen "Banditendorf" genannt wird, erfahrt ihr in diesem Artikel!






Das kleine Dorf liegt im Osten Sardiniens, nicht weit von der Provinzhauptstadt Nuoro entfernt. Eingerahmt von schroffen Berghängen und unberührter Natur empfängt Orgosolo seine Besucher in mehr als 600 Meter Höhe. 

Obwohl der Ort nur rund 4.000 Einwohner zählt, ist er einer der bekanntesten auf der Insel. Grund hierfür sind unter anderem die unzähligen Murales. Doch auch die Tatsache, dass die Gemeinde auf eine äußerst interessante und geschichtsträchtige Vergangenheit zurückblickt, lockt viele Menschen in den Ort.
 

Ein Orgolese, der sich vor der Gendarmerie versteckt

Die Geschichte

Im Laufe der vergangenen Jahre musste sich Sardinien immer wieder gegen zahlreiche Eroberer zur Wehr setzen. Diese stahlen den Hirten unter anderem ihre Herden und setzten ganze Wälder in Brand. Aus Not und Armut heraus, taten sich die Bergbewohner daher im 19. Jahrhundert zusammen und entwickelten eine Art Banditenkultur. Gemeinsam widersetzten sie sich fortan den verschiedenen Angreifern und  begaben sich regelmäßig auf Raubzug in die reicheren Ortschaften nahe der Küste.


So überfielen im November 1894 rund 500 Männer aus Orgosolo den Küstenort Tortoli. Hierbei hatten sie es auf das Vermögen eines Großgrundbesitzers abgesehen. Die Männer griffen die Kaserne der Carabinieri an und veranstalteten ein regelrechtes Gemetzel in der Stadt. Hierbei wurden fast alle männlichen Einwohner getötet.  

Das nahe gelegene Supramonte-Gebirge bot natürlich ein ideales Versteck vor der Polizei. So kam es durchaus vor, dass ein Hirte inmitten der ländlichen Idylle gelegentlich einem flüchtigen Verbrecher gegenüberstand.  


Luigi Podda - Seine Geschichte weiter unten
In Orgosolo herrschte lange Zeit auch eine blutige Familienfeindschaft. Auslöser soll ein Streit um das Erbe des reichsten Dorfbewohners gewesen sein. Der Zwist teilte die Einwohner schließlich in zwei Gruppen und forderte in den Jahren 1903 - 1917 mehr als 50 Todesopfer. Auf dem Friedhof der Stadt findet man daher viele Grabsteine, deren Inschrift Aufschluss darüber gibt, wann und von wem der Tote seinerzeit ermordet wurde. 

Durch mehrere Prozesse wurde 1917 sodann eine Versöhnung erreicht, welche jedoch nur 30 Jahre lang anhielt. Sowohl die Angst vor Blutrache, als auch die willkürlichen Verhaftungen der Behörden trieb erneut eine Vielzahl von Männern dazu, sich in den Bergen zu verstecken und zwang sie damit mehr oder weniger, zu Banditen zu werden. Die Dorfgemeinschaft, die den Carabinieri tiefes Misstrauen entgegenbrachte, unterstützte die flüchtigen Männer. Orgosolo wurde daraufhin offiziell zum Banditennest erklärt.

 

Es dauerte nicht lange, bis die Geschichte des Dorfes verschiedene Regisseure inspirierte. Filme wie "Die Banditen von Orgosolo" und "Der blauäugige Bandit" mit Terence Hill in der Hauptrolle, wurden anschließend hier gedreht. Für letzteren orientierte man sich übrigens an der Geschichte von Graziano Mesina (auch "Grazianeddu" genannt), einem Verbrecher, der als berühmtester Vertreter des sardischen Banditentums gilt. Zugleich war er für die Sarden jedoch eine Art Robin Hood. Seine Historie umfasst unter anderem 40 Jahre in Gefangenschaft, 5 Jahre auf der Flucht, sowie eine Vermittlerrolle in einem Fall von Kindesentführung.

Heutzutage ist das Banditentum längst Geschichte und es werden nur noch selten vereinzelte Gewalttaten gemeldet. Fürchten braucht man sich in dem hübschen Dörfchen also keineswegs!




Besonders stolz ist Orgosolo auf einen Vorfall, der sich 1969 hier ereignet hat. In diesem Jahr kündigte die NATO an, einen Truppenübungsplatz auf dem sogenannten Pratobello zu errichten.  Diese Hochebene wurde jedoch schon seit Urzeiten von den Dorfbewohnern als Weideplatz genutzt. 

Mithilfe der gesamten sardischen Bevölkerung wandten die Einwohner das Vorhaben der NATO schließlich ab, indem sie Wegweiser verdrehten, Straßen blockierten und die Weiden und Zufahrtswege mit ihren Herden besetzten, als die Soldaten mit ihren Panzern anrückten.


So erreichten sie schließlich den Rückzug der Truppen. Der erfolgreiche, friedliche Kampf um Pratobello wurde seit jeher zum Symbol des sardischen Widerstandes und die Orgolesi bekannt als jenes Volk, das sich von nichts und niemanden in die Knie zwingen lässt. Weder Rom, noch die italienische Regierung haben es je geschafft, den hartnäckigen Widerstand dieses Ortes ins Wanken zu bringen.



Die Murales

"Ein weiterer Krieg? Nein Danke!"
Wenngleich diese Wandmalereien auch in anderen Ortschaften Sardiniens zu finden sind, so stellt Orgosolo mit etwa 250 verschiedenen Kunstwerken die größte Muralessammlung dar. Ein Spaziergang durch die Stadt gleicht einem Bummel durch ein historisches Bilderbuch. Doch was auf den ersten Blick wie kreative StreetArt aussieht, ist in Wirklichkeit viel tiefgründiger.

Seit Ende der 60er Jahre zieren die unterschiedlichsten Wandgemälde den Ort. Das erste Bild wurde von einer anarchischen Theatergruppe aus Mailand an die Wand gemalt. Im Jahre 1975 fertigte ein Lehrer aus Siena mit seinen Schülern weitere Murales an. Anlass hierfür war der 30. Jahrestag des Partisanenkampfes gegen den Faschismus. Zuvor hatte der Lehrer den oben erwähnten Film "Die Banditen von Orgosolo" gesehen, der ihn schließlich dazu bewegte, den Muralismus fortzusetzen. Nach und nach brachten anschließend weitere Künstler ihre Ideen mit Pinsel und Farbe an die tristen Wände der Häuser. 



Kleiner Aufruf zum Blutspenden
Die bunten Wandgemälde handeln von verschiedenen Themen, wie zum Beispiel dem Widerstand gegen Faschismus, Kapitalismus, Krieg, Korruption und Armut. Viele von ihnen drücken den Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit aus. Aber auch das Leben der Hirten und die sardischen Traditionen sind auf den Gebäuden wiederzufinden.

Gerade die älteren Kunstwerke sind im Laufe der Jahre durch Wind und Wetter bereits verblasst. Viele werden aber auch regelmäßig restauriert, nicht zuletzt der Touristen wegen.




Zum besseren Verständnis werden im Ortszentrum Audioguides in verschiedenen Sprachen angeboten. Für 5,00 Euro erhält man einen 90-minütigen, akustischen Rundgang mit Informationen zu den bedeutensten Wandgemälden. 

Auch wenn Orgosolo gerade in den Sommermonaten etwas überlaufen ist, so ist die kleine Stadt auf jeden Fall sehenswert!




Zum Schluss noch einige Murales mit Erläuterung

















Das Misstrauen der Orgolesi gegenüber der verschiedenen Behörden auf dem Festland war groß. So zeigen diese beiden Bilder, wie die italienische Staatsbank Geld aus der Entwicklungskasse (Cassa del Mezzogiorno) verliert, die für Süditalien, und somit auch für Sardinien zuständig ist.



Dieses Gemälde wurde 1978 am Internationalen Frauentag an die Wand gebracht. Es soll an den Vorfall vom 8. März 1908 erinnern, als in Manhatten bei einem Streik Mitarbeiterinnen in einer Fabrik eingeschlossen wurden und ein Brand ausbrach. 129 Frauen fanden in den Flammen den Tod. 

Das Bild drückt außerdem die Forderung nach Emanzipation, Freiheit und Gleichberechtigung sowohl innerhalb der Familie, als auch am Arbeitsplatz aus.




Der hier abgebildete Mann trägt den Namen Luigi Podda. Der Bauer hatte im zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus gekämpft und wurde im Jahr 1950 plötzlich verhaftet, während er auf dem Feld arbeitete. In der Gegend wurden mehrere Überfälle gemeldet und hierdurch bedingt war es zu Zusammenstößen zwischen einigen Bewaffneten und den Carabinieri gekommen. Obwohl es mehrere Zeugen gab, die Podda bei der Feldarbeit gesehen hatten, wurde er des Mordes beschuldigt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst nach 26 Jahren begnadigte man den Bauern. Trotzdem durfte er nicht mehr nach Sardinien zurückkehren, sondern sollte weitere 10 Jahre in der Verbannung auf dem Festland leben. Dieser Fall war einer der Gründe, warum die Orgolesen kein Vertrauen in das italienische Rechtssystem hatten.

Ein weiterer Fall war der Tod von Franco Serantini. Der 20-jährige Sarde engagierte sich aktiv in einer Anarchistenbewegung. Nachdem er 1972 an einer Protestaktion teilgenommen hatte, wurde er verhaftet. Während seines Verhörs klagte er über starkes Unwohlsein, doch es geschah nichts. Am Tag darauf fiel der junge Mann ins Koma und starb. Dem  Gefängnisarzt wurde vorgeworfen, Serantinis Beschwerden nicht ernst genug genommen zu haben. Einige Jahre später wurde der Arzt schließlich Opfer eines Attentats, zu dem sich Linksextremisten bekannten.


Eines der bedeutensten Murales: Sieg um den Pratobello
Dieses Foto zeigt das Rathaus von Orgosolo. Fenster und Türen wurden in der Vergangenheit immer wieder beschädigt, sodass die Stadtverwaltung es irgendwann aufgab, die Schäden reparieren zu lassen. Noch heute ist die Eingangstür deshalb von zahlreichen Schüssen durchlöchert. 

Das rechts davon befindliche Wandgemälde ist dem Sieg über Pratobello gewidmet. Parolen wie "Dünger statt Geschosse!" und "Wirtschaftsaufschwung statt Militärbasen!" wurden mit Farbe an die Wand gebracht. Auch der Schriftsteller Emilio Lussu und ein Auszug aus dessen Solidaritätstelegramm wurden auf der Frontseite des Rathauses verewigt.



Wegweiser und Aufruf zugleich:
Die Schönheit und die Natur Sardiniens soll respektiert werden

Jesus - Ein illegaler Einwanderer



Protest gegen das sogenannte Haifisch-Finning im asiatischen Raum



"Glücklich das Volk, dass keine Helden braucht".




3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen informativen Artikel! Obwohl ich nicht weit von dort wohne wusste ich viele Dinge noch nicht! Mille grazie

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  2. Ich habe das Dorf gesehen und dort zum ersten mal Lammfleisch gegessen,das
    Essen und die Gastfreundschaft und das schöne Dorf werde ich nie vergessen..

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    1. Wie schön, da freut man sich richtig mit! Mich hat das Dorf samt seiner Gastfreundschaft auch sehr beeindruckt und ich wäre gern noch länger dort geblieben.

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